„Diese Fussspuren erzählen viel darüber, was wir in diesem Sommer gesehen haben. Sie zeigen den schrecklichen Zustand dieser Metallboote und die prekäre Situation der Menschen auf der Flucht. Es sind die Spuren einer einzigen Person, aber es könnten die von jedermann sein.“
Im August 2023 rettete die Ocean Viking Überlebende von mehreren in Not geratenen Boote, die von Tunesien aus in See gestochen waren. Die meisten dieser Boote waren aus Metall gefertigt. Diese Art von Booten ist seit diesem Jahr immer häufiger anzutreffen. Camille, die diesen Sommer als Fotografin an Bord der Ocean Viking war, erklärt, warum sie die Rostspuren an den Booten so berührte, und die Risiken, die solche Gefährte in sich haben
Diese Boote sind aus alten, rostigen Metallplatten zusammengebaut. Sie sind instabil, und der Rumpf ist oft in einem maroden Zustand. Die meiste Zeit über läuft Wasser in das Schiff und/oder es bekommt Schlagseite. Untauglich ist eigentlich nicht das richtige Wort, um diese Boote zu beschreiben, denn sie dürfen in ihrer mangelhaften Funktion noch nicht einmal als Boote bezeichnet werden. Sie sind sehr kostengünstig herzustellen und sind das Haupttransportmittel für die Menschen, die versuchen, Tunesien zu verlassen.
Diese kleinen Boote haben mir wirklich Angst gemacht, als ich sie mitten auf dem offenen Meer treiben sah. Sie transportieren Babys, Kinder, schwangere Frauen, Menschen mit Hoffnungen, Träumen, Traumata, Familien – und können jederzeit kentern. Die Tatsache, dass Menschen in diesen untauglichen Schiffen aufs Meer fahren und ihr Leben und das ihrer Kinder riskieren, sagt viel über die Situation aus, der sie zu entkommen versuchen.

Dieses Bild ist vielleicht nicht sehr aussagekräftig, denn es handelt sich dabei nicht einmal um eines dieser Metallboote, sondern um den vorderen Teil eines unserer schnellen Rettungsboote, das mit kleinen Bojen abgedeckt ist, um seine Seitenwände vor dem Kontakt mit den in Seenot geratenen Booten zu schützen. Dennoch ist dieses Bild sehr aufschlussreich, denn wir können die Fussabdrücke von einem Menschen sehen. Die Überlebenden müssen auf diese Bojen treten, wenn sie von ihrem Schiff auf unser Rettungsboot umsteigen, und wir können sehen, dass die Spuren aus Rost bestehen. Eindrücklich zeigen sie, dass die Menschen buchstäblich stundenlang in salzigem Wasser und Rost mitten auf dem Meer ausharren mussten. Auch ihre Kleidung war vollkommen mit diesem Rost bedeckt.
Es zeigt auch, dass die meisten Menschen, die wir retten, barfuss unterwegs sind und nur wenige persönliche Gegenstände bei sich tragen. Wenn sie an Bord kommen und in einem sicheren Hafen an Land gehen, bitten sie oftmals um Schuhe. Schuhe zu besitzen ist eine Frage der Menschenwürde.
Diese Fussabdrücke sagen viel darüber aus, was wir in diesem Sommer erlebt haben. Sie offenbaren den schrecklichen Zustand dieser seeuntauglichen Metallboote und die prekäre Situation der Menschen auf der Flucht. Es sind die Fussspuren einer einzigen Person, aber es könnten die Fussspuren eines jeden von uns sein.
Credits: Camille Martin Juan/ SOS MEDITERRANEE